Dienstag, 21. August 2012

Mittellegi mal anders

Der Mittellegi-Grat am Eiger ist einer der grossen Klassiker im Berner Oberland, und gehört eigentlich in den Palmares eines jeden Alpinisten. Auch Corina hat schon lange von dieser Tour geträumt, und als sich eines der wenigen Schönwetter-Wochenenden ankündigt, war es endlich soweit. Eine telefonische Anfrage auf der Mittellegi-Hütte bestätigt allerdings, dass die Tour tatsächlich sehr beliebt und infolgedessen die Hütte total ausgebucht ist. Was tun? Nachdem ich vor einer Woche an der Verte erfahren habe, dass es gar nicht so ein grosses Problem ist, das Biwakmaterial über einen hohen Berg zu tragen, steht der Ersatzplan schnell fest: Anstatt wie üblich am ersten Tag in die Hütte und am nächsten Tag über den Eiger und die Eigerjöcher ins Jungfraujoch zu gehen, werden wir am ersten Tag gemütlich in die Hütte und gleich weiter auf den Eiger steigen, und dann ein Biwak im nördlichen Eigerjoch machen. Am zweiten Tag steht dann nur noch eine kurze Etappe an. 
Gesagt, getan. Und weil Bergsteigen ja auch Genuss sein soll, nehmen wir nicht am frühen Morgen den ersten Zug, sondern fahren bereits am Vortag auf die Kleine Scheidegg. Vom Eiger-Trail aus geniesst man einen eindrücklichen Blick in die Eiger-Nordwand, wo ich vor wenigen Tagen zusammen mit Chrigu die Freakonomics 7a+ geklettert habe.
Nach einem gemütlichen Zmorgen auf der Sonnenterrasse vom Berghaus Kleine Scheidegg nehmen wir den neun Uhr Zug. Bald sind wir im Stollen, der uns zur Eismeer führt.
Ähnlich wie bei den Touren um Chamonix gilt auch hier, von 0 auf 100 in zehn Minuten! Man steigt über ein Bändchen ab und seilt dann 20 Meter über den Bergschrund auf den Gletscher ab. Auf dem Challifirn wartet eine eindrückliche Riesenspalte, die aber dank einer gäbigen Spur einfacher überquert werden kann als gedacht.
Dann folgt auch gleich die erste Kletterstelle, eine mit Bohrhaken abgesicherte Seillänge im vierten Grad. Geht aber schlussendlich auch mit den Grossen ganz gut.
Danach wird das Gelände zwar einfacher, aber irgendwie auch deutlich mühsamer. Das Band ist zwar noch mehr oder weniger gut mit Steinmännchen markiert, aber irgendwann verliert sich dieses in einer steileren Wand. Jetzt muss man diagonal ansteigen, es gibt dutzende von kleineren Wegspuren, die sich alle verlieren. Prompt verpassen wir den besten Weg und stehen unversehens in unlustigem Gelände. Zum Glück ist es aber nur noch zwei Seillängen, bis wir den Grat erreichen, etwa 100 Meter von der Hütte entfernt. Nach dem Gschludergelände freuen wir uns jetzt auf schöne Gratkletterei.
Zuerst ist der Grat noch nicht so steil, über kürzere Aufschwünge geht es flott voran. Die Kletterei ist eigentlich ganz hübsch, wären da nur nicht...
... diese unmöglichen Fixseile! Man kann sie problemlos auslassen, sie sind auch nicht unbedingt dort angebracht, wo es am schwierigsten wäre. Vielmehr kommen sie einem halt in den Weg, und stören massiv das Landschaftsbild.
Hier ein Blick auf den oberen Teil des Mittellegi-Grates. Im Bild rechts ist das klettertechnische Highlight des Aufstiegs, frei geklettert liegt die Schwierigkeit wohl im unteren fünften Grat, der Fels ist solide. 
Nach dem grossen Turm folgt eine längere Fixseil-Hampelpassage auf der Nordseite, auch hier klettert man besser möglichst viel frei, ist auch weniger anstrengend für die Arme.
Danach wird der Grat flacher, ohne allerdings wesentlich einfacher zu werden. Vielmehr folgen immer mal wieder kürzere Aufschwünge, die man überklettern muss. Schlussendlich erreichen wir eine grosse Plattform, die den Übergang in den Firnteil vermittelt. Während bis hierhin der Aufstieg von den Temperaturen her sehr angenehm war - ich bin alles im T-Shirt geklettert - zahlen wir hier natürlich etwas für unsere ungewohnt späte Zeit. Der Firn ist aufgeweicht, die Traversen teilweise etwas heikel. Zum Glück hat es aber eine super ausgetrampelte Spur.
Dann endlich stehen wir auf dem Gipfel des Eigers. Um Abends um fünf Uhr natürlich völlig alleien - abgesehen von Gleitschirmfliegern, die um den Gipfel segeln! 
Gemütlich machen wir uns auf den Abstieg, wissend das es gar nicht mehr so weit ist! Der Südgrat ist zuerst einfach, wird dann aber bald steiler, und man muss mehrere Male 15-25 Meter abseilen.
Über zuletzt etwas unlustiges Gschludergelände erreichen wir das nördliche Eigerjoch. Und hier hat es tatsächlich auch eine flache Stelle mit weichem Kies, ideal für einen Biwakplatz! Corina stellt ihre Mauerbau-Kenntnisse zur Verfügung und verbessert den Schlafplatz, während ich mich der Küche widme. Am wärmsten Tag (Jungfraujoch neue Rekordtemperatur 12.8°) auch um halb acht Uhr abends im leichten Pulli! Im Hintergrund das 'Projekt' für morgen, die Überschreitung der Eigerjöcher.
Ein wunderbarer Abend in einer wilden Berglandschaft. So muss Bergsteigen sein!
Nach einer warmen Nacht erwachen wir am nächsten Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen. Wie Ameisen krabbeln die Seilschaften bereits Richtung Eigergipfel, während wir noch den Kafi schlürfen. Schliesslich geht es auch für uns weiter.
Ein erstes, teils vereistes Schneefeld muss traversiert werden. Das zweite Firnfeld ist etwas weniger steil, und führt zum klettertechnisch interessantesten Teil des Grates.

Nach dem Firngrätchen folgt ein cooler, kurzer Gully, gefolgt von einem steilen Aufschwung. Laut Führer checkt die Stelle bei IV+ ein, das ist allerdings definitiv nicht Cotation Chamoniarde. Viel mehr als einen Dreier würde ich hier nicht veranschlagen, denn die Kletterei ist zwar den Umständen entsprechend steil, aber wirklich sehr grossgriffig.
Nach diesem Aufschwung legt sich der Grat zurück, schlussendlich zieht es sich dann aber noch, bis man endlich den Firn erreicht. Ein, zwei sorgfältige Schritte, dann erreichen wir den Gletscher. Und damit sukzessive auch wieder die Zivilisation. 

Facts:
Eiger, Mittellegi-Grat, S, IV, 4+

Einer der grossen Klassiker im Berner Oberland, der den wohl besten und zugänglichsten Aufstieg auf den Eiger vermittelt. Die Kletterei ist anhaltend, aber nie schwierig, und viele Stellen sind mit Fixseilen zugemüllt. Im Hüttenzustieg und im Südgrat ist Trittsicherheit im schuttigen T6-Gelände erforderlich. 
Begeht man wie wir den Mittellegi-Grat als Nachmittagstour mit Biwak, hat man den Vorteil, allfällige Staus und Gedränge zu vermeiden, dafür ist halt der Rucksack etwas schwerer und der Firn am Gipfel des Eigers schlechter. Den Mittellegi als Tagestour mit Abstieg über die Westflanke würde ich nur ausgewiesenen Liebhabern von Steilschutt empfehlen.

Material: 50m Seil, etwa 6 Expresse (um längere Strecken am gestreckten Seil parallel zu klettern), ein paar Zackenschlingen, evtl. ein stark reduziertes Set Klemmkeile und Friends, zwei Eisschrauben.

2 Kommentare:

  1. Das sieht nach einem sehr schönen Ausflug und nach einer perfekten Strategie aus! Vielen Dank für den schönen Bericht.

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  2. dem kommentar von marcel schliesse ich mich gerne an! meine freundin würde ebenfalls gerne über diese route klettern, hat jedoch angst vor steinschlag und drängeleien. mit eurer strategie kann man dem ausweichen - top!

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